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Les nationalismes régionaux en Europe – Ein Rückblick auf die Europavorlesung am 11.01.2023

Le nationalisme catalan et les nationalismes régionaux en Europe. Bilan et perspectives en 2022. 

Ein Rückblick auf die Europavorlesung am 11.01.2023

Spanien, Schottland, Belgien: Nicht nur in diesen europäischen Ländern zeichnen sich zunehmend regionale nationalistische Tendenzen ab. Prof. Dr. Hélène Dewaele Valderrábano, Dozentin an der Sorbonne de Paris, setzte sich mit diesem Thema vor allem im spanisch-katalanischen Kontext auseinander. In ihrer Europavorlesung am 11. Januar zieht sie nicht nur eine Bilanz aus dem vergangenen Jahr, sondern spricht auch über Perspektiven in Bezug auf regionale Extremismen in Europa. 

Nationale Tendenzen in Europa sind kein Novum. In Großbritannien stimmten 2016 51,9 % der Briten für das Verlassen der EU, bei den letzten Präsidentschaftswahlen in Frankreich erreichte die Kandidatin Marine Le Pen des rechts-populistischen Rassemblement National immerhin 41,45% der Stimmen, und auch in Deutschland stellen wir ein Erstarken der Neuen Rechten fest, die parlamentarisch von der rechtsextremen Partei AfD (Alternative für Deutschland) abgebildet wird. Dass es sich bei dass es sich bei diesen verschiedenen Formen des Nationalismus nicht um Einzelfälle handelt, sondern um ein europäisches Phänomen handelt, stellt Prof. Dr. Hélène Dewaele Valderrábano in ihrem Vortrag dar. Allein dieses Jahr stehen in drei europäischen Ländern nationale Wahlen an, die maßgeblich den Erfolg bestimmter nationalistischer Bewegungen bestimmen werden: in Belgien, wo der flämische Nationalismus zunehmend an Boden gewinnt, in Schottland, das sich von England emanzipieren und wieder Teil der EU werden möchte, und schließlich in Spanien, wo die allgemeinen Wahlen über das Gewicht der baskischen und katalanischen nationalistischen Parteien entscheiden. Hier stellt Prof. Dr. Hélène Dewaele Valderrábano vor allem eines klar: Der Nationalismus kann noch andere Gestalten annehmen als die rechter, anti-europäischer Parteien.

Auch dieses Mal fand die Europavorlesung in hybridem Format statt. Foto: Rahel Schuchardt

Reaktivierung nationaler Identitäten in Katalonien 

Die Unabhängigkeitsbestrebungen der Katalanen kulminierten im Referendum 2017, in dem 99 Prozent der Katalanen für eine Unabhängigkeit Kataloniens vom Zentralstaat Spanien stimmten. Obwohl das Referendum von Spanien als nicht rechtskräftig erklärt, und somit nicht anerkannt wurde, sorgte es europaweit für Schlagzeilen. 

Die Gründe für den erstarkenden katalanischen Nationalismus sind vielschichtig und gehen zurück zu den Anfängen des 20. Jahrhunderts. Eine seiner Besonderheiten: die Forderungen nach der Unabhängigkeit Kataloniens finden auch bei der jungen Generation großen Widerhall. Dies ließe sich nach Deweale Valderrábano vor allem mit Versäumnissen in der geschichtlichen Aufarbeitung des spanischen Bürgerkriegs und der Franco-Diktatur erklären: „Das hat bei den älteren Generationen nicht nur große Trauer und Frustration hinterlassen, sondern auch ein Gefühl der Zurückgelassenheit und des Vergessenwerdens“, so die Historikerin. 

„Aus Sicht der Katalanen, die die Unabhängigkeit der Region fordern, unterscheidet sich die demokratisch gewählte Regierung Spaniens nicht groß von der Franco-Diktatur“, erklärt Deweale Valderrábano während ihres Vortrags. Foto: Rahel Schuchardt

Zurückgelassen fühlten sich auch die jüngeren Generationen. Die Ressentiments der Katalanen gegen die spanische Zentralregierung würden außerdem durch die Wirtschaftsstärke Kataloniens im Vergleich zu anderen spanischen Regionen noch weiter verstärkt. „Aus Sicht der Katalanen, die die Unabhängigkeit der Region fordern, unterscheidet sich die demokratisch gewählte Regierung Spaniens nicht groß von der Franco-Diktatur“, erklärt Deweale Valderrábano. Dadurch verliert die Regierung in den Augen der Katalanen vor allem eines: ihre Legitimität. 

Der Ruf nach Unabhängigkeit bleibt also hörbar – auch nach dem gescheiterten Referendum 2017. Dabei helfen nicht nur die Sozialen Medien als eine Art Sprachrohr, auch die Möglichkeit, seinem politischen Unmut in Universitäten Luft zu machen, leiste dem katalanischen Nationalismus Vorschub.   

 

Das europäische Paradox: die EU als Vorbild und Staatenersatz 

Extremismen, ob links oder rechts, assoziiere man zumeist mit einem: Euroskepsis. Was die Katalanen angeht, und auch andere regionale extremistische Bewegungen in Europa, die sich diese zum Vorbild nehmen, gestaltet sich die Sache jedoch deutlich komplexer. Zehn Jahre nach den Römischen Verträgen, im Jahr 1967, brachte das Inkrafttreten des EG-Fusionsvertrags klar definierte europäische Organe mit supranationalen Kompetenzen mit sich. An die Stelle der europäischen Mächte trat nun, wenn bis dahin auch nur in Teilbereichen, eine supranationale Europäische Macht. Es sei eben dieser überstaatliche Charakter, mit dem sich die Katalanen identifizieren, so Prof. Dr. Hélène Deweale Valderrábano: „Die Regionen sehen in der EU einen Alliierten, einen Freund, denn man überwindet den Staat. Das ist etwas Neues.“ 

Doch diese neue europäische Großmacht ist mehr als nur ein ideelles Konstrukt: Praktische politische Umsetzung findet sie vor Ort, in den Regionen. Denn dank dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE), festgeschrieben im Vertrag zur Arbeitsweise der Europäischen Union, wird die Rolle der Regionen gestärkt. Die Investitionen in verschiedenste Bereiche, wie beispielsweise Landwirtschaft, wirken lokal – das ist etwas, das es vorher schlichtweg nicht gab. „Dieses Investitionsprogramm und seine Auswirkungen stärkte die institutionelle Legitimität der EU. Hier fand ein direkter Dialog zwischen der EU und den Regionen statt.“

Nachgefragt: Das Publikum der Europäischen Studien stellt Nachfragen zum Vortrag von Prof. Dr. Hélène Dewaele Valderrábano. Foto: Rahel Schuchardt

Ein neues Jahr voller politischer Herausforderungen

Sowohl die spanische Regierung, als auch die EU stehe in diesem neuen Jahr vor großen Herausforderungen, merkt Dewaele Valderrábano zum Ende Ihres Vortrages an. 

Extremistischen Bewegungen und ihren Forderungen zu begegnen, sei die Aufgabe der aktuellen spanischen Regierung unter Pedro Sánchez, aber auch die der europäischen Institutionen. Ob und wie man diesen begegnen könne, darauf hat auch die Historikerin keine klare Antwort, nur eine: es wird nicht einfach. 

 

Text und Fotos: Rahel Schuchardt 

Redaktion: Jule Barmwater