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Tätowiert, Gewachst, Eingebrannt

Ausstellung „TATOUEURS, TATOUÉS“ im Musée de Plantagenêt in Le Mans

Beeindruckende Fotografien aus aller Welt, aufwendig gearbeitete Wachsfiguren, Filmausschnitte: das alles zeigte die Wanderausstellung „TATOUEURS, TATOUÉS“ des Musée du Quai Branly – Jacques Chirac, die nach den schrittweisen Öffnungen nach dem Lockdown endlich zu besichtigen war. Direkt neben dem Place des Jacobins und der Cathédrale Saint Julien bietet das Historische Museum zudem ein spannendes permanentes Angebot, die die Zeit von der Antike bis zur Neuzeit abdeckt.

Die Kunst des Tätowierens ist heute ein integraler Bestandteil unserer Pop-Kultur. Die die Praxis Einzug in unser aller Alltag genommen hat, zeigt die Ausstellung „TATOUEURS, TATOUÉS“ eindrucksvoll: abgeleitet vom ozeanischen Wort tatahou, „auf der Haut nachgezeichnet“, war es in Frankreich der Übersetzer des Seefahrers und Kartographen James Cook, der das Wort zum Teil der französischen Sprache machte. Anhand von Fotografien und aufwändig gearbeiteten Wachsfiguren werden die Besucher durch die Geschichte dieser alten und traditionsreichen Kunstform geführt. So erfährt man zum Beispiel, dass tätowierte Menschen auf Märkten zur Schau gestellt wurden und als Hauptattraktionen im Zirkus auftraten. Mit dem 19. Jahrhundert zieht das Tätowieren in die europäischen Gesellschaften ein und hat in allen sozialen Schichten Erfolg – unter anderem ZarNicolas II und die österreichische Kaiserin Sissi lassen sich tätowieren.

 

Anhand von Fotografien führt die Ausstellung „TATOUEURS, TATOUÉS“ durch die Geschichte der alten Kunstform: Unter Seefahrern dienten Tattoos als Wiedererkennungszeichen auf hoher See. Fotografie aus dem 20. Jahrhundert, Autor unbekannt.

Vor allem bei Seefahrern, Gefängnisinsassen und Soldaten fand das Tätowieren großen Anklang. Auf hoher See hat dies praktische Gründe: falls es zum Schiffbruch kommt, können sie anhand ihrer Tattoos identifiziert werden. Gefängnisinsassen nutzen das Tattoos, die meist unter mangelhaften hygienischen Bedingungen gestochen werden, als Demonstration ihrer Männlichkeit.

Dass die gesellschaftliche Bedeutung über die von reiner Mode und Körperschmuck hinausgeht, bringt die Ausstellung eindrucksvoll zum Ausdruck. Denn obwohl sich diese Praxis immer weiter verbreitet, nehmen Ärzte und Anthropologen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Tätowierungen als Maßstab, um Kriminelle zu erkennen und festzunehmen. Gemeinsam mit weiteren physischen Kriterien, zum ersten Mal 1876 festgelegt vom italienischen Arzt Cesare Lombroso, gelten sie als offensichtlicher Ausdruck des kriminellen Charakters eines Individuums.

 

Ein Zeichen von Gruppenzugehörigkeit, Demonstration von Stärke: blickt man zurück, sind Tätowierungen viel mehr als reine Mode und Körperschmuck.

Schon die Herkunft des Wortes “Tätowieren” aus dem Ozeanischen zeigt: die Geschichte dieser Kunst reicht weit zurück. Auch dass in zahlreichen Bevölkerungsgruppen in Asien, Afrika und Ozeanien das Tätowieren eine religiöse, soziale und mystische Bedeutung und nicht selten Ausdruck der Aufnahme in die Stammesgemeinschaft ist, zeigen starke Schwarzweißfotografien.

Tradition neben moderner Pop-Kultur: die Ausstellung „TATOUEURS, TATOUÉS“ stellt das scheinbare Paradox gekonnt nebeneinander.

 

Hat man nach dieser Ausstellung im Musée de Plantagenêt in Le Mans noch nicht genug, so bietet das modern restaurierte Gebäude noch eine spannende permanente Ausstellung zur lokalen antiken, modernen und neuzeitlichen Geschichte. Zudem ist der Eintritt für Studierende gratis.

 

Text und Bilder: Rahel Schuchardt